Die Idee
Die Ringvorlesung dient als Einstieg für den neuen Forschungsschwerpunkt des Historischen Instituts. Das ist nicht ohne intellektuelles Risiko, denn normalerweise sind Ringvorlesungen eher ein Weg, gesicherte Erkenntnisse in eine breite universitäre Öffentlichkeit zu tragen. Andererseits gibt es kaum einen besseren Weg, ein intellektuelles Feld zu öffnen. Alle Mitglieder des Historischen Instituts sind aufgefordert, ihre Überlegungen zu „Dis:Order“ zu präsentieren – ohne Verpflichtung auf einen bestimmten Ansatz oder heilige Konzeptpapiere. Sie können die Ringvorlesung deshalb auch als eine Art semesterlanges Brainstorming betrachten: Wie präsentiert sich Unordentlichkeit als historiographische Herausforderung in den einzelnen Forschungsfeldern des Historischen Instituts?
Grundsätzlich empfiehlt es sich, die Diskussion über „Dis:Order“ auf zwei Ebenen parallel zu führen. Es geht gleichermaßen um bestimmte Themen und über den theoretisch-methodischen Rahmen der Analyse – wissend, dass Themen hier zugleich durch konzeptionelle Überlegungen konstituiert werden. Das verpflichtet Referierende und Diskutierende zur Transparenz über Begriffe, Theoreme und Prämissen und zur Bereitschaft, diese allgemeinverständlich und konzeptionell offen zu erläutern. Wir wollen Unordentlichkeit schließlich diskutieren und nicht etwa reproduzieren. Deshalb sind alle TeilnehmerInnen ermuntert, mit klaren, gerne auch gewagten Thesen zur Diskussion beizutragen. Die Frage nach Unordentlichkeit hat etwas Korrosives, und es ist offen, wie weit wir diesem Impetus bei Konzepten, Narrativen und Begrifflichkeiten nachgeben können, ohne in einen Zustand kognitiver Anomie zu verfallen.
Eine Ringvorlesung hat auch den Vorteil, dass sie einen Raum für Kommentare aus allen Alters- und Statusgruppen öffnet. Die Vorträge dauern maximal 60 Minuten, danach besteht Gelegenheit zur freimütigen Diskussion. Hier sind insbesondere Studierende ermuntert, die Thesen auch vor dem Hintergrund ihrer generationellen Erfahrung zu diskutieren. Es gab in Deutschland seit der Mitte des 20. Jahrhunderts keine Generation, die so sehr von so vielfältigen Krisenerfahrungen geprägt wurde wie jene Menschen, die aktuell im dritten Lebensjahrzehnt sind. Da spricht viel für die Annahme, dass Studierende einen anderen Blick auf Unordentlichkeit haben als beispielsweise alternde Hochschuldozenten mit Beamtenstatus.
Im Übrigen gilt die ewige Grundregel des Brainstormings: Es gibt keine dummen Fragen, sondern allenfalls dumme Antworten – und auch da steht jede Äußerung unter dem Vorbehalt des Vorläufigen. Es geht um das Vermessen eines intellektuellen Feldes mit multiplen Ungewissheiten – konzeptionell, empirisch, politisch, emotional. Die Frage nach „Dis:Order“ ist auch ein Stachel gegen die profunde Selbstgewissheit, die sich in jüngerer Zeit in der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft breitgemacht hat.
Und wenn Sie Nachgedanken haben, die Sie aber erst nach mehr als 90 Minuten formulieren können? Dann warten Sie nicht auf die nächste Sitzung, sondern schreiben Sie eine E-Mail an den Koordinator der Ringvorlesung. Es gibt nämlich auch einen Blog zur Veranstaltung, der Thesen und Diskussionen dokumentiert.